Dienstag, 11. November 2008

Mein Sein oder: Handeln vs. Leiden

Hallo Bastard, lieber Du,

Deine drei Wahrheiten gefallen mir. Deshalb habe ich Einwände:

Die erste Wahrheit ("Alles, was ist, wirkt") ist zwar wahr, wirft aber in einer auf Werden und Wirken und Wachsen gerichteten Welt kein gutes Licht auf unser eigenes Sein. Mein Wirken beschränkt sich heute darauf, die Luft in dem Raum, den ich Arbeitszimmer nenne, zu verunreinigen, das ist nicht viel. Morgen wird es die Luft eines Großraumbüros sein, weiter nichts.

Mit anderen Worten: Ist der, der mehr wirkt, auch mehr? Wirkt der mehr, der mehr isst? Sollte das Seiende darauf bedacht sein, möglichst intensiv zu wirken, um Qualität und Quantität seines Seins aufzuwerten?

Womöglich rührt mein Hadern mit der Wirklichkeit ja nur aus meiner mangelnden Wirkung in ihr. Konsequent hiesig wäre es dann, meine Wirkkraft mit der Stetigkeit zu vergrößern, die Du allein dem Wandel zusprichst (Wahrheit drei). Konsequent transzendent aber wäre es, auf Wirkung ganz zu verzichten und so mein Sein in der Wirklichkeit einzustellen. Die Möglichkeit dessen allerdings schließt Du aus. Und hast wohl recht damit. Eine Annäherung an derlei Transzendenz aber müsste doch durch Nichtsmachen machbar sein: So wenig wie möglich zu wirken, um so wenig wie möglich zu sein. (Ich spüre schon, wie ich schrumpfe.)

Mit anderen Worten: Was ist einer, der mit gesenkten Lidern und gekreuzten Beinen auf einem einsamen Hügel sitzt, die Handflächen dem Himmel zuwendet und nichts tut, als zu warten? Nichts? Ist dessen geschichtslose Wirkungslosigkeit noch Wirklichkeit außerhalb seiner selbst und der umstehenden Gräser und Erdbröckchen, die er gelegentlich verzehrt?

Zu Deinen anderen beiden Wahrheiten ist zu bemerken, dass sie so wahr wie tautologisch sind. Worin besteht der Unterschied zwischen "Auch dieses wird vergehen" und "Stetig ist allein der Wandel"? Es gibt keinen. Sollte ich recht haben, stellen Wahrheit zwei und drei hiermit ihr Sein ein und gehen auf in einer neuen Wahrheit, der wir nun die neue Nummer zwei geben wollen.

Sollte ich unrecht haben, könnte das wiederum am Unterschied zwischen Passivität (alte Wahrheit zwei) und Aktivität (alte Wahrheit drei) liegen. Am Vergehen kann ich nichts ändern. An Geschwindigkeit und Intensität des Wandels vielleicht schon.

Wie Du siehst, liebster Fuzzi, beantworten Deine Wahrheiten keine Fragen, sondern werfen neue auf. (Das ist, wenn Du mich fragst, ja auch das Wesen von Wahrheiten. ) In diesem Falle provozieren die Wahrheiten sogar eine Entscheidung: Hiesigkeit oder Transzendenz?

Aber wir, nein, wir lassen uns ja nicht provozieren von so ein paar popeligen Wahrheiten, nicht wahr? Wir leben dickbäuchig und kleinfressig und flinken Fingers eine Synthese aus beidem. Das mag weise sein. Allein: Es befriedigt mich nicht.

Dein Arthur ("Ich ist ein anderer") Rimbaud


PS: Ein aktiveres Wort als Aktivität ist Aktion. Analog hieße das: Ein passiveres Wort als Passivität ist Passion.

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